Der Arbeitnehmerdatenschutz hat in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) keine eigenständige Regelung erfahren. Vielmehr wurde die Regelungsbefugnis durch eine Öffnungsklausel den Mitgliedsstaaten überlassen, wovon der Gesetzgeber mit der Regelung des § 26 Abs. 1 BDSG-neu (früher: § 32 BDSG) Gebrauch gemacht hat. Mit diesem Beitrag wollen wir der Frage nachgehen, was Arbeitgeber künftig bei sog. präventiven Überwachungsmaßnahmen von Arbeitnehmern zu beachten haben.
1. Maßnahmen nach § 26 Abs.1 S. 1 BDSG-neu
Für Präventivmaßnahmen des Arbeitgebers, die der Verhinderung oder Bekämpfung von strafbaren Verhalten der Arbeitnehmer dienen sollen, ist der allgemeine Maßstab des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG-neu von Relevanz. Die benannte Norm gibt die Rechtfertigungsgrundlage für Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers, hier beispielsweise für die Einführung einer Videoüberwachung, vor.
Präventive Maßnahmen des Arbeitgebers sind nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG-neu zulässig. Erst wenn durch diese Maßnahmen arbeitnehmerbezogen Erkenntnisse hinsichtlich strafbaren oder vertragsverletzenden Verhaltens erwachsen, ist es zulässig diese Erkenntnisse nach dem Maßstab des § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG-neu zu nutzen und vertragswidriges Verhalten über die vorbenannte Rechtsgrundlage weiter zu verfolgen.
Bei präventiven Maßnahmen nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG-neu sind tatsächliche Anhaltspunkte begangener Straftaten nicht Voraussetzung für ein Tätigwerden des Arbeitgebers. Auch sind im Rahmen von Präventivmaßnahmen alle Arbeitnehmer gleich zu behandeln. Eine Kontrolle bei einzelnen Arbeitnehmern als „angebrachter“ zu erachten als bei anderen Arbeitnehmern ist beispielsweise kein präventives, sondern ein repressives Vorgehen. Für präventive Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers sind tatsächliche Anhaltspunkte auch nicht insoweit erforderlich, dass ein Verdacht auf vorangegangene Verfehlungen gegeben sein muss. Die Schaffung präventiver Überwachungsmaßnahmen ist auch dann möglich, wenn es zeitlich vor deren Einführung keinerlei Beanstandungen gegeben hat. Im Gegensatz zu repressiven Maßnahmen bedarf es bei präventiven Maßnahmen keines tatsächlichen Vorwurfs. Das präventive Vorgehen des Arbeitgebers im Hinblick auf Überwachungsmaßnahmen hat das Ziel, dass es gar nicht erst zu vertragsverletzenden Verhalten des Arbeitnehmers kommen zu lassen.
Insgesamt findet im Hinblick auf präventive Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers, die sich an der Norm des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG-neu zu messen haben, eine Interessenabwägung, die das Interesse der Arbeitnehmerschaft zum Unterlassen der Präventivmaßnahmen und das Interesse des Arbeitsgebers an der Durchführung gegeneinander abwägt, statt. Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist eine allgemeine Gefahrenprognose maßgebliches Kriterium. Denn je drohender die Gefahr und deren Gewicht vom Arbeitgeber dargelegt wird, desto intensiver dürfen die Maßnahmen von ihrer Eingriffsintensität her sein. Bei der vorzunehmenden allgemeinen Gefahrenprognose ist maßgeblich, ob nach vernünftigem Dafürhalten die Gefahr der Begehung von strafbaren Handlungen besteht. Für eine diesbezügliche Beurteilung können bereits festgestellte Verstöße an bspw. vergleichbaren Arbeitsplätzen und anderen Betriebsteilen als Begründung herangezogen bzw. in die Betrachtung einbezogen werden. Auch hier gilt der Maßstab, dass je naheliegender und dringlicher eine Gefahr ist, umso intensiver dürfen präventive Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers ausfallen. Das Bundesarbeitsgericht beachtet hierbei im Hinblick auf die arbeitgeberseitigen Interessen an der Überwachungsmaßnahme die Nähe und Gegenwärtigkeit des Verdachts und der Gefahr.
Ist keine ausdrückliche Zweckbestimmung im Hinblick auf die Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers durch diesen getroffen worden, kann sich eine solche auch aus den Umständen der Verarbeitung ergeben. Gerade in den Fällen der offenen und unübersehbaren Videoüberwachung steht der Präventivcharakter der Maßnahme im Vordergrund. Diese betrifft vor allem den Zweck, Arbeitnehmer von der Begehung von Straftaten abzuhalten.
2. Maßnahmen nach § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG-neu
§ 26 Abs. 1 S. 2 BDSG-neu verlangt bei der Verarbeitung personenbezogener Arbeitnehmerdaten zur Aufdeckung von Straftaten tatsächliche, d.h. konkrete, Anhaltspunkte, die einen Tatverdacht begründen und ist daher nur relevant für das Aufdecken von Straftaten im Arbeitsverhältnis. Jedoch dürfte es – ausgehend von der vergleichbaren Interessenlage – ebenso möglich sein, derartige Maßnahmen zur Aufklärung von Ordnungswidrigkeiten des Arbeitnehmers oder schwerwiegenden Vertragsverletzungen auf § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG-neu zu stützen. Der Arbeitgeber verfolgt erst dann repressive Zwecke, wenn mit der Auswertung der Aufnahmen Straftaten aufgeklärt werden sollen. Die Auswertung ist dann an den Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG-neu zu messen.
3. Betriebsvereinbarung als Legitimationsmittel
Arbeitgeber haben bei beabsichtigten präventiven Überwachungsmaßnahmen, beispielsweise bei einer Videoüberwachung, die Möglichkeit den ausdrücklichen Zweck der Verarbeitung und insoweit deren Legitimation in einer Betriebsvereinbarung niederzulegen. Dies setzt die Existenz eines Betriebsrats voraus. Eine Betriebsvereinbarung ist hier eine eigenständige Rechtfertigungsgrundlage im Sinne des § 26 Abs. 4 BDSG-neu. Bei nicht betriebsratsgebundenen Unternehmen sind anstelle einer Betriebsvereinbarung individualrechtliche Vereinbarungen mit allen betroffenen Arbeitnehmern notwendig.
4. Fazit
Für präventive Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG-neu, beispielsweise durch eine Videoüberwachung des Arbeitsplatzes, genügt als Nachweis die abstrakte Gefahr der Begehung einer Straftat sowie das Überwiegen von Arbeitgeberinteressen im Rahmen einer vorzunehmenden allgemeinen Gefahrenprognose.
Nicht notwendig sind konkrete Hinweise auf strafbares oder vertragsverletzendes Verhalten. Zur Durchführung empfiehlt sich für Arbeitgeber der Abschluss von Betriebsvereinbarungen. Eine solche Betriebsvereinbarung beschreibt dann die maßgebliche Zweckrichtung der Verarbeitung der Arbeitnehmerdaten und kann fallbezogen präventive – wie auch repressive – Maßnahmen, die sich an der Norm des § 26 Abs. 1 S. 1 und Abs. 1 S. 2 BDSG-neu zu messen haben, rechtfertigen und die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 BDSG-neu näher darlegen.
Gerade bei einer präventiven Videoüberwachung sollten im Hinblick auf die vorzunehmende Interessenabwägung sämtliche Gesichtspunkte der Parteien des Arbeitsverhältnisses ausreichend Berücksichtigung finden. Nur dadurch wird gewährleistet, dass präventive Überwachungsmaßnahmen des Arbeitsgebers gerechtfertigt und dadurch rechtmäßig sind.
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