Bereits im März dieses Jahres widmeten wir einen Beitrag der sog. „Organhaftung“ auf Grund mangelhafter Compliance im Unternehmen. Nun bringt uns die Entscheidung des OLG Nürnberg (12 U 1520/19) einen hervorragenden Anlass, dem interessierten Leser, die Notwendigkeit von funktionierenden Compliance-Maßnahmen und Strukturen im Unternehmen vor Augen zu führen.
Auf die positiven Nebeneffekte ernstzunehmender Compliance-Bemühungen, wurde durch uns bereits eindringlich in früheren Beiträgen hingewiesen. Das hier bereits erwähnte Urteil führt nahezu schulbuchmäßig aus, welchen Umfang die Pflichten eines Geschäftsführers im Rahmen der internen Unternehmensorganisation haben. Dies gilt unlängst nicht mehr nur für Konzerne, sondern umfasst auch Geschäftsführer kleiner und mittelständischer Unternehmen, denn auch für sie gilt, die Einhaltung von Recht und Gesetz durch das Unternehmen und seine Mitarbeiter sicherzustellen (Legalitätspflicht).
Wenig verwunderlich ist daher, dass Compliance-Organisation für viele Mittelständler zu einer zentralen Thematik betriebswirtschaftlicher Vernunft herangewachsen ist. Eine direkte, ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Compliance besteht nicht. Allerdings lässt sich der Rechtsgedanke natürlich in viele zentrale Leitungs- und Haftungsnormen – im juristischen Fach-Jargon – hineinlesen.
Der Geschäftsführer muss, nach geltender Rechtsauffassung, das von ihm geführte Unternehmen so organisieren, dass er jederzeit Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft hat. Dies kann gegebenenfalls ein Überwachungssystem erfordern, mit dem Risiken für den Unternehmensfortbestand erfasst und kontrolliert werden können. Dabei ist der Geschäftsführer nicht nur verpflichtet, den Geschäftsgang so zu überwachen oder überwachen zu lassen, dass er unter normalen Umständen mit einer ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann; er muss vielmehr weitergehend sofort eingreifen, wenn sich Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten zeigen.
Natürlich ist auch dem deutschen Gesetzgeber klar, dass die Geschäftsleitung gemein hin nicht in der Lage sein kann, alle Abläufe und Kommunikation höchstpersönlich zu überwachen, was faktisch ab einer gewissen Unternehmensgröße auch nicht mehr umsetzbar wäre. Insoweit steht der Geschäftsführung die Möglichkeit frei, einzelne Aufgabengebiete zu delegieren. Die Geschäftsleitung haftet de lege lata auch nicht für fremdes Verschulden, was jedoch nicht heißen soll, dass ein bloßes „Wegschieben“ der Aufgaben sie von einer der Führungsposition immanenten Überwachungspflicht befreit. Vielmehr trifft die Geschäftsleitung bei der Delegation von Aufgaben die Pflicht der ordnungsgemäßen Auswahl- und Überwachung der eingesetzten Mitarbeiter. Eine Pflichtverletzung liegt jedenfalls dann vor, wenn durch unzureichende Organisation, Anleitung bzw. Kontrolle, Mitarbeitern der Gesellschaft Straftaten oder sonstige Fehlhandlungen ermöglicht oder auch nur erleichtert werden.
Natürlich existieren auch Schutzvorschriften zu Gunsten der Beschäftigten, eine Dauerüberwachung durch die Geschäftsleitung zu verhindern. Eine äußere Grenze finden alle Aufsichtsmaßnahmen denklogisch an ihrer objektiven Zumutbarkeit. Dazu gehören auch die Beachtung der Würde der Unternehmensangehörigen und die Wahrung des Betriebsklimas, die überzogenen, von zu starkem Misstrauen geprägten Aufsichtsmaßnahmen entgegenstehen, vor allem für Maßnahmen, die ausdrücklich oder erkennbar mit der nicht durch Tatsachen belegten Befürchtung begründet werden, die Arbeitnehmer könnten vorsätzliche Gesetzesverstöße begehen. Weitere Zumutbarkeitsschranken ergeben sich aus der Eigenverantwortlichkeit der Unternehmensangehörigen und dem bei Arbeitsteilung geltenden Vertrauensgrundsatz. Hinsichtlich des Umfangs und der Grenzen der anzumutenden Überwachungspflicht der Geschäftsleitung ist daher stets stark auf den zu Grunde liegenden Einzelfall abzustellen.
Wird die Pflicht zur sorgfältigen Abwägung nicht erfüllt, riskieren die Verantwortlichen die persönliche Inanspruchnahme auf Schadenersatz, in Extremfällen mitunter strafrechtliche Ermittlung. Erschwerend hinzu kommt, dass die Geschäftsleitung insbesondere selbst darzulegen und zu beweisen hat, dass sie der entsprechenden Sorgfaltspflicht nachgekommen ist oder sie diesbezüglich kein Verschulden trifft, ein Schaden daher auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre. Dies stellt eine Abweichung vom Grundsatz der zivilprozessualen Beweislast dar, wonach der Kläger für alle anspruchsbegründenden Umstände beweisbelastet ist. Den Grund hierfür sieht nicht zuletzt das OLG Nürnberg in seiner Urteilsbegründung dessen geschuldet, dass das jeweilige Leitungsorgan die Umstände seines Verhaltens und damit auch die Gesichtspunkte die für die Beurteilung der Pflichtgemäßheit des Leitungshandeln entscheiden sind, besser überblicken kann.
Abschließend lässt sich auch dem Urteil des OLG Nürnberg erneut entnehmen, dass die Gerichte den Gesellschaften – außerhalb zwingender Verhaltensvorgaben – weiterhin einen weitreichenden Beurteilungsspielraum belassen, der für die unternehmerische Entscheidungsfreiheit denknotwendig ist. Unabhängig davon ist die Geschäftsleitung primär dem Wohl der Gesellschaft und deren nachhaltiger Rentabilität verpflichtet. Dahingehend obliegt dem Leitungsorgan auch die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers, eine interne Organisationsstruktur zu schaffen, die die Effizienz und Rechtmäßigkeit des unternehmerischen Handelns gewährleistet.
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