Am 27. September 2024 fällte das Landgericht Hamburg (Az. 310 O 227/23) ein wegweisendes Urteil zur Frage der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI). Der Kläger, ein professioneller Fotograf und Stockfoto-Händler, klagte gegen den Verein LAION, der einen Datensatz mit über 5,85 Milliarden Bild-Text-Paaren erstellt hatte, um generative KI-Modelle zu trainieren. Im Zentrum des Falls stand die Frage, ob diese Nutzung durch die Schrankenregelungen des Urheberrechts, insbesondere § 44b und § 60d UrhG, gedeckt ist.

Hintergrund des Verfahrens

Der Beklagte, ein Verein, der im Juli 2021 gegründet wurde, erstellt und betreibt einen Datensatz, der über 5,85 Milliarden Bild-Text-Paare umfasst. Diese Datenbank enthält öffentlich verfügbare Bilder, die mittels Hyperlinks sowie zusätzlichen Bildbeschreibungen zugänglich gemacht werden. Dieser Datensatz dient der Forschung und der Weiterentwicklung generativer KI-Modelle.

Im Rahmen der Datensammlung und Analyseprozesse wurden die Bilder heruntergeladen, analysiert und die entsprechenden Metadaten in die Datenbank aufgenommen. Eine zentrale Streitfrage des Verfahrens war die Frage, ob das Herunterladen und die Vervielfältigung dieser Bilder ohne Genehmigung des Urhebers eine Verletzung der Verwertungsrechte darstellt.

Die Positionen der Parteien

Klägerseite: Der Kläger, ein professioneller Fotograf, sah durch die Nutzung seines Bildes in der KI-Datenbank eine Verletzung seiner Urheberrechte nach § 16 UrhG (Vervielfältigungsrecht). Er argumentierte, dass der Beklagte sein Werk unrechtmäßig heruntergeladen und vervielfältigt habe, und dass diese Vervielfältigung weder durch Schrankenregelungen wie § 44a noch durch § 44b UrhG gedeckt sei.

Beklagtenseite: Der Beklagte verteidigte sich mit der Behauptung, dass die Nutzung des Bildes durch die Schrankenregelungen des Urheberrechts, insbesondere § 44a UrhG (vorübergehende Vervielfältigungen), § 44b UrhG (Text und Data Mining) und § 60d UrhG (wissenschaftliche Forschung), gedeckt sei. Weiterhin wurde angeführt, dass die Bilder nur kurzfristig gespeichert und nach der Analyse automatisch gelöscht worden seien.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht hatte zu entscheiden, ob der Aufbau eines Datensatzes, der später zum KI-Training verwendet wird, von der Schrankenregelung für Text und Data Mining (TDM) nach §§ 44b und 60d UrhG gedeckt ist.

  • § 44b UrhG (Text und Data Mining): Diese Vorschrift erlaubt das automatisierte Auswerten von Daten, wenn sie rechtmäßig zugänglich sind, und umfasst auch das KI-Training. Die entscheidende Frage war, ob die Vervielfältigung von Bildern zum Zwecke des KI-Trainings unter diese Ausnahme fällt. Das Gericht stellte fest, dass die Nutzung grundsätzlich von § 44b UrhG gedeckt sein könnte, da das Ziel die Analyse von Bild-Text-Korrelationen war.
  • § 60d UrhG (wissenschaftliche Forschung): Letztlich entschied das Gericht, dass die Vervielfältigung durch die Schrankenregelung des § 60d UrhG gedeckt war, da der Datensatz der wissenschaftlichen Forschung diente und öffentlich zugänglich gemacht wurde. Der Beklagte verfolgte keine kommerziellen Ziele, da der Datensatz kostenfrei zur Verfügung gestellt wurde. Dass kommerzielle Unternehmen den Datensatz ebenfalls nutzen könnten, war unerheblich, da dies die nicht-kommerzielle Zielsetzung des Beklagten nicht beeinträchtigte.

Maschinenlesbarkeit von Rechtevorbehalten

Ein bemerkenswertes Element des Urteils ist das obiter dictum des Gerichts zur Maschinenlesbarkeit von Opt-Out-Klauseln nach § 44b Abs. 3 UrhG. Obwohl das Gericht die Frage der Maschinenlesbarkeit in diesem Fall nicht entscheiden musste, nahm es Stellung und vertrat ein großzügiges Verständnis.

Das Gericht führte aus, dass Lizenzbedingungen in natürlicher Sprache ausreichen könnten, wenn sie von modernen Technologien wie KI-Tools ausgelesen werden. Zur Untermauerung dieser Auffassung verwies das Gericht auf Art. 53 Abs. 1 lit. c des EU Acts für Anbieter von KI-Modellen (KI-Gesetz), der den Einsatz modernster Technologien vorschreibt. Diese moderne Technologie müsse auch in der Lage sein, Lizenzbedingungen maschinell zu erkennen und zu verarbeiten. Damit nimmt das Gericht eine dynamische Interpretation des Begriffs der Maschinenlesbarkeit vor, der dem technologischen Fortschritt Rechnung trägt.

Gewerbliche Nutzung von TDM-Daten

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Urteils betrifft die Frage der gewerblichen Nutzung von TDM-Daten. Der Kläger argumentierte, dass die Datensätze von kommerziellen Unternehmen genutzt würden, was die Schranke des § 60d UrhG ausschließen sollte. Das Gericht wies diese Argumentation zurück und stellte klar, dass die Tatsache, dass kommerzielle Unternehmen den Datensatz nutzen könnten, für die Beurteilung der nicht-kommerziellen Tätigkeit des Beklagten irrelevant sei. Der Beklagte hatte den Datensatz frei zugänglich gemacht, und daher war die Nutzung durch Dritte nicht ausschlaggebend für die rechtliche Bewertung.

Analyse weiterer Schrankenregelungen

Das Gericht untersuchte zudem die Anwendbarkeit anderer Schrankenregelungen:

  • § 44a UrhG (vorübergehende Vervielfältigungen): Diese Norm erlaubt befristete Vervielfältigungen, die für technische Verfahren erforderlich sind. Das Gericht verneinte jedoch die „Flüchtigkeit“ der Kopien, da die Löschung der Bilddaten nicht automatisch, sondern durch bewusste Programmierung im Rahmen des Analyseprozesses erfolgte.
  • Gewerbliche TDM-Schranke (§ 44b UrhG): Die gewerbliche Nutzung von TDM wurde ebenfalls eingehend behandelt. Das Gericht entschied, dass die Vervielfältigung von Bildern im Rahmen des KI-Trainings unter diese Schranke fällt, da es sich um ein automatisiertes Verfahren zur Informationsgewinnung handelte.

Schrankenregelung und der Dreistufentest nach der InfoSoc-Richtlinie

Das Gericht argumentierte zudem, dass die Schrankenregelung des § 44b UrhG auch den Dreistufentest aus Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-Richtlinie erfülle. Dieser Test verlangt, dass Ausnahmen vom Urheberrecht nur dann zulässig sind, wenn sie die normale Verwertung eines Werkes nicht beeinträchtigen und die berechtigten Interessen des Rechteinhabers nicht ungebührlich verletzen. Das Gericht sah diese Bedingungen als erfüllt an, da die Vervielfältigung der Bilder lediglich zum Zweck der Analyse erfolgte und die spätere Schaffung KI-generierter Werke allein keine unzulässige Konkurrenz zu den ursprünglichen Werken darstellt.

Ausblick: Berufung und zukünftige Entwicklungen

Das Urteil ist insbesondere im Hinblick auf die Anwendung der Schrankenregelungen für Entwickler von General Purpose Artificial Intelligence (GPAI) von Interesse. Der EU-Gesetzgeber hat mit Art. 4 der DSM-Richtlinie und der KI-VO (Art. 53 Abs. 1 lit. c KI-Verordnung) die Grundlage geschaffen, dass auch KI-Trainingsdatensätze geistige Inhalte enthalten dürfen, solange sie unter Berücksichtigung der Rechteinhaber erstellt werden. Anbieter von KI-Modellen sind verpflichtet, Opt-Outs der Rechteinhaber zu beachten und eine Copyright-Policy zu entwickeln. Dies zeigt, dass das Urheberrecht zunehmend mit dem Einsatz modernster Technologien harmonisiert wird.

Es bleibt abzuwarten, ob der Kläger Berufung einlegen wird. Insbesondere die Frage der Maschinenlesbarkeit von Opt-Out-Klauseln könnte in zukünftigen Verfahren, möglicherweise auch vor dem EuGH, weiter präzisiert werden. Der weite Ansatz des LG Hamburg könnte richtungsweisend für die Interpretation urheberrechtlicher Schrankenregelungen im digitalen Zeitalter sein.

Das Urteil des LG Hamburg bringt Klarheit in die Frage der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Rahmen des KI-Trainings. Es bestätigt, dass die Nutzung von Bildern für wissenschaftliche Zwecke unter bestimmten Umständen zulässig ist, solange die rechtlichen Schrankenregelungen eingehalten werden. Gleichzeitig eröffnet das Urteil Raum für Diskussionen über die Maschinenlesbarkeit von Rechtevorbehalten und deren Bedeutung im Zusammenhang mit der Entwicklung und Nutzung von KI. Dieses Urteil könnte weitreichende Auswirkungen auf die Praxis der KI-Entwicklung in der EU haben und den rechtlichen Rahmen für künftige Innovationen setzen.

Christian Krösch